Streifzüge durch Italien – Hain von Esther Kinsky

Ein weiteres Sommerbuch ist für mich Hain von Esther Kinsky. Gut, es ist kein typischer Reiseroman auch wenn dieser drei Wege durch Italien beinhaltet.
Es geht allerdings auch nicht um typische Städte und Sehenswürdigkeiten, sondern um Gebiete, die fern ab von Touristenzielen liegen. Und auch der Anfang dieses Romans beinhaltet kein Kofferpacken. Eine rumänische Tradition ist es den Übergang vom Sein zum Vergehen, vom Viǐ zum morțǐ, mit einer Kerze zu symbolisieren. Stirbt ein Mensch, für den bereits eine Kerze entzündet wurde, wird diese mit Gebeten auf die andere Seite getragen. Und in genau dieser Situation befindet sich die Frau, die gerade den Verlust ihres Lebenspartners M. zu verarbeiten hat und sich nun in Italien auf die Suche nach ihrer inneren Ausgegelichenheit begibt.

 

“Ich sah den Friedhof, im Licht der unzähligen Lämpchen schwebend, rechts oberhalb des Dorfes, und wusste, dass das Haus, in dem ich wohnte und das ich von hier unten nicht ausmachen konnte, in der Mitte lag. Alles Kantige, Schwere streifte der Friedhof nach Einbruch der Dunkelheit ab und erschien mir kurz als eine Insel des Trostes.”

 

Sie begibt sich an die verschiedensten Orte, Dörfer, Städte und beschreibt gerade das, was sie sieht oder ihr in den Sinn zu kommen scheint. Es ist die Landschaft, die sie auffängt und Trost spendet; die Schönheit, die weit ab der Touristenhochburgen zu finden ist. Es geht um den Tod, um das ‘Vergessen’ und Erinnerungen bewahren innerhalb einer Erzählung über das Land, dessen Sitten und Orte des Gedenkens. Ein recht auffangender, vielschichtiger Roman, der in sich ein stimmiges Bild über die Gefühlslage der Erzählerin präsentiert und die Aufmerksamkeit auf ganz andere Dinge lenkt.

 

“Bei den unvermeidlichen Fahrten auf Schnellstraßen und Autobahnen verlor auch mein Vater wie angesteckt von der allgemeinen Sorglosigkeit seine Vorsicht, er setzte seine Sonnenbrille auf, trat aufs Gaspedal und rauchte in den Zugwind der offenen Fenster. Wie alle anderen Autofahrer kaufte er sich mit dem Schein für die Autobahn eine Art Jahrmarktsfahrt der möglichen Karambolagen, gespielten Furchtlosigkeiten und knapp verpassten Tragödien.”

 

Meine Faszination erlangte dieses Buch bereits mit seinem recht vieldeutigem Cover. Ist es ein Esel? Hemden der Toten gar Engel? Oder sind es doch einfach Plastiktüten?
Worum es sich nun genau handelt erfahren wir nicht, sondern viel mehr über das Land und den Ausdruck des Beobachtens ohne wirklich bedeutsame Interaktion. Esther Kinsky ist mir schon mehrfach als Übersetzerin begegnet und ich war seither stets sehr angetan von ihrer recht tiefgründig, poetischen Wortwahl. Es ist nicht gerade einfache Kost, die Hain hier enthält, aber es ist ein für mich großartiges Buch für ruhigere Stunden. Wer hier einen eindeutigen Handlungsstrang erwartet, der mit Höhen und Tiefen gespickt und viel Rums und Bamborium erwartet, wäre mit diesem Buch falsch beraten. Es ist die ruhige Art, die ins Denken und Schwelgen führt. Die Distanz und gleichzeitig auch Nähe zur Hauptperson, die diesen “Geländeroman” zu etwas besonderem machen.

 

“Ein letzter Gedanke im Traum, schon auf dem Weg hinaus ins Wachen, war, dass es diese Erinnerungen in meinen Händen waren, die den Kiesel hatten zum kopfförmigen Bernstein werden lassen.”

 

Esther Kinsky – Hain
Suhrkamp.
287 Seiten. 24 Euro. Hardcover.

Vielen Dank an Suhrkamp für das Leseexemplar.

 

 

Photo by Konrad Marx.

6. Juli 2018

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