Gesellschaft | Virtuell. Real. Politisch. Menschlich banal. – “Park” von Marius Goldhorn.

Europa. Allgemeine Situation. Heute. 11:52 Uhr. Arnold schaut auf sein Iphone. Arnold denkt. Arnold macht etwas und auch wieder nichts. Spricht. Hinterfragt. Nichts. Leicht kritisch, politisch und irgendwie auch spiegelbildlich skizziert Marius Goldhorn in seinem Roman Park die Generation der Millennials, die Präsenz der virtuellen Realität und Abhängigkeit, sowie eine Gesellschaft in der sich eigentlich viel tut und doch nichts bewegt

Die grundsätzliche Geschichte ist schnell erzählt. Arnold ist Mitte 20. Vor einiger Zeit lernte er in Deutschland Odile auf einer Abschiedsparty kennen. Sie kommen sich näher, aber trennen sich räumlich. Sie geht nach London. Ihre letzte “Nachricht vom 01.06., 20.09 Uhr: würde mich sehr freuen, wenn du lust hättest, den dreh im august zu unterstützen.” bleibt lange unbeantwortet. Als er sich dann recht spontan dazu entschließt sie wiedersehen zu wollen, reist er über Paris nach Athen, streift durch das Leben und kommt gleichzeitig auch den Unruhen, dem Terror und der Gewalt näher, ohne sich wirklich bedroht zu fühlen. Er liest in den Nachrichten von einem Anschlag in Paris, wo er sich gerade noch aufhielt, und auch in Athen scheint eine Demonstration zu eskalieren.

“Alles verschiebt sich. Menschen lernen sich kennen oder vermeiden den Kontakt. Grundlos, durch nichts, gerade weil nichts geschehen ist, ändert sich die Lage. Es braucht keinen Umsturz, keine große Tat, alles verwandelt sich. Eine Katastrophe wäre gut, damit alles wieder an seinen Platz rückt.”

Ich könnte es nun auch so sagen:
Deutschland, Paris und Athen. Ein vielschichtiger Roman voller Gedankenansätze, aufkochender Bedrohungen, Banalitäten, Rausch, Lärm und starker Berieselung. Park von Marius Goldorn.

Hier. Zusammenfassung. Ein umschreibendes Zitat:

“Er dachte: Ich hätte gerne eine klare Position zu Prostitution. Er stellte sich vor, wie das Ich, das eine klare Position zu Prostitution hatte, irgendetwas tat: eine Straße hinunterlief in Paris oder Odile damit konfrontierte, dass sie ihn zurückgelassen hatte, wie dieses Ich etwas anderes als Rochen bestellte, zum Friseur ging oder Dr. Sawatzkis Schwanz in der Hand hält.”

Dieses Buch fasst für mich sehr viele aktuelle Themen zusammen. Einmal gibt es diese Unruhen und Bedrohung, die existent, aber gefühlt kaum wahrnehmbar sind. Irgendwie spielt die Sensationsgeilheit der Menschen mit rein und irgendwie verpufft vieles innerhalb kürzester Zeit. Selbst in Europa passiert tagtäglich so viel, ohne dass wir es in unserer kleinen Filterblase bemerken. Und doch ist eigentlich das Internet und Socialmedia das Element, dass gerade solche Meldungen innerhalb kürzester Zeit durch die Welt trägt und die Menschen ständig und überall damit konfrontiert und verbindet. Doch, das Leid der anderen ist oftmals viel weiter weg und wird durch die eigenen Gedanken und Erlebnisse überlagert. Desweiteren habe ich mich in diesem Roman sehr über den Unterschied zwischen der eigentlichen Realität, den tiefgründig, intensiven Gedanken des Protagonisten Arnold und die eigentlich beinahe empathielose Kommunikation mit anderen, sei es digital oder persönlich, gewundert. Laut wissenschaftlichen Untersuchungen hängen frühkindlicher und übermäßiger Online(-spiel-)konsum und Empathielosigkeit miteinander zusammen. Die porträtierten jungen Erwachsenen scheinen viel auf das Internet zu fixieren, ihre Iphones sind gefühlt nicht nur Statussymbol, sondern auch das Wichtigste, das sie besitzen. Und ihre Gespräche sind nahezu banal und kraftlos, dass man sich diese beinahe auch schenken könnte. Goldhorns Roman ist eine reine Beobachtungsbeschreibung. Vielleicht könnte man ihn sogar als eine kurzgefasste Online-Nachricht verstehen, die durchs Netz geistert, fragmentiert und etwas abbildet. Es passiert viel innerhalb kurzer Sequenzen, die den Tag der Protagonisten schrittweise wiedergeben und insgesamt den Puls der Zeit angemessen vertreten.


Für mich ist es ein interessanter Roman, der zwar häufig nur an der Oberfläche vieler Themen kratzt, aber eben sehr viele weitere Gedankengänge zulässt. Die knappe und sachlich, nüchterne, teilweise gar anstrengende Erzählweise fordert es irgendwie noch zusätzlich heraus, dass man durch seine eigenen Gedanken quasi Emotionen hinzufügt, aufgrund der gegenwärtigen Situation beklemmt reagiert, die Geschehnisse mit der heutigen Zeit abgleicht und darüber nachdenkt. Die Erwähnung des Iphones, die stete Abhängigkeit an die Technik und die ‘er sagte:…, sie sagte…, … sagte er”-Dialoge, sofern man das überhaupt Gespräch nennen kann, gingen mir dabei ehrlich gesagt etwas auf den Keks. Doch je länger ich darüber nachdenke umso mehr finde ich von der heutigen Welt in genau diesem abstrakten Text wieder. Bedrohungen gibt es zahlreich und die Menschen verlernen zu kommunizieren, irgendwas zu fühlen und miteinander zu interagieren, sich zu verstehen. Und übertragen betrachtet, ist Corona ein ähnlich aktuelles Beispiel einer Bedrohung und auch da scheint sich kaum noch jemand hierzulande wirklich bedroht zu fühlen. Der Rassismus wurde in den Medien kaum thematisiert, die USA ist weit weg und doch ist er da, eine stets aufs neue aufploppende Bedrohung, die viele gar nicht wahrnehmen oder ihr sogar hinterherrennen und provozieren. Der Mensch ist ein komisches Konstrukt. Und dieses Buch ist… irgendwas dazwischen. Eigenwillig. Ja, genau.

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Marius Goldhorn – Park.
edition suhrkamp.
Suhrkamp.
179 Seiten. 14 Euro. Taschenbuch.

13. Juli 2020

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